18
Jun
2006

Leichen im Kleiderschrank

Heute bin ich über sie hergefallen, über meine Leichen im Kleiderschrank. Ganz an den Rand gedrückt hängen sie, vergessen auf der Stange, gequetscht unter diversen Paar Hosen, tiefvergraben in der Wäschekiste oder geknüllt in die hinterste Ecke des Regals. Es sind liebegewonnene Leichen, zu sehr begehrt als dass sie einmal ihr Grab im Altkleidersack finden könnten. Es sind kleine Geister, die Geschichten aus längst vergangenen Zeiten erzählen können. Wesen, in denen gelebt wurde, aus vollem Herzen gelebt:

Weiß: Weiß ist die Farbe der Braut. Weiß darf nur sie tragen. Also trage ich schwarz. Das wunderschöne kleine Schwarze von Moschino. Reizend schaut es. Sehr reizend. Fast zu reizend für den Bräutigam. Und stolz trage ich es - zu schwarzen hohen Pumps. Ich weiß nicht worauf der Blick mehr gezogen wird: Auf das tiefe Dekollete, den feinen Schlitz in Taillenhöhe oder auf die Beine, deren Oberschenkel von dem zart fließenden Stoff umhüllt werden. Ich trage dieses Kleid und fühle mich unbeschreiblich gut. Heute, heute abend muss ich extrem aufpassen, dass ich der Braut nicht die Show stehle. Böse bin ich, sehr böse.

Blau: Die Sonne knallt heiß vom tief blauen Himmel herunter. Viel zu viel Hitze für viel Stoff. Also trage ich blaue Hotpants zu der Geburtstagsparty. Etwas unsicher fühle ich mich, weil das Höschen nun wirklich extrem hot ist. Die Pobacken stippen leicht hervor, die Beine sind optisch verlängert durch die blauen hohen Riemchensandalen. Gewagtes Outfit, aber ein gutes. Da der Meinige auf dieser Party gerne seinen Arm um mich legt, müssen sie wohl gut ankommen, die blauen Hotpants.

Beige: Nie werde ich diesen Abend vergessen. Niemals. Ich trage ein kleines Spaghetti-Trägerkleidchen und schwere beige Boots. Damals war es noch in. Dieser Mix aus leichtem Stoff und schwerem Schuhwerk - und man trug keine BH's. Es ist wirklich nur ein Kleidchen mit einem großen Blumenaufdruck, dessen Stoff den Körper umspielt. Ich flaniere mit meinem Liebsten über Kölns Ringe und er wacht über mir.
Im übrigen hat mir dieses Kleid ein paar Tage später wohl den peinlichsten Moment meines Lebens geliefert: Ich trage einen Pulli geschultert über dieses Kleid und stehe am Barbarossaplatz. Die Fußgängerampel ist rot, doch die Autos fahren nicht direkt los. Stattdessen interessierte Blicke in meine Richtung. Ich werde unsicher und schaue irritiert an mir runter. Mein Gesicht muss in dem Augenblick klatsch rot geworden sein: Ein Träger war verrutscht, so dass meine Rechte vollkommen frei lag. Schnell war ich weg, so schnell ich konnte.

Lack: Jawohl, ich habe sie - eine schwarze Lackhose im Five-Pocket-Style. Wie ich sie erworben habe, ist eine äußerst witzige Geschichte. Verrucht sind diese Hosen, und für brave Mädchen nicht so einfach zu kaufen. "Schneidern lassen", denke ich mir und gehe ich in ein Atelier. Damals wollten sie 350 Mark für so ein Teil. Viel zu teuer für eine gerade jung Erwerbstätige. Also ziehe ich durch Kölns Straßen. Irgendwann lande ich in einer kleinen Seitenstraße vor einer Boutique, die mir schon immer wegen ihrer futuristischen Rucksäcke aufgefallen ist. Cosmos, hieß der Laden, meine ich. So viele Läden wie ich an dem Tag von innen gesehen habe, trete ich kurz entschlossen hinein. Im Eingangsbereich sind Lackhosen und Lackschuhe. Ein freundlicher junger Mann fragt mich nach meinem Wunsch und weißt mich darauf hin, dass es oben noch eine größere Auswahl gibt. Ich steige die Stufen hinauf, und stehe in einem Laden für diverse Fetischprodukte. Vor mir steht ein Mittfünfziger mit einer Peitsche in der Hand und wollte gerade die Masken anschauen. Ich weiß nicht, wer in dem Moment mehr berührt war, ich oder er. Die Five-Pocket-Lack-Hose habe ich aber dennoch mit einem breiten Grinsen im Gesicht anprobiert und gekauft.

Es sind Leichen, leider. Aber lustvolle Leichen, die ich hoffentlich irgendwann noch einmal zum Leben erwecken kann. Beerdigen werde ich sie niemals.
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